EINLEITUNG In der pflanzenbaulichen Forschung werden zuneh- mend Modelle und Simulationsstudien genutzt, um ei- nerseits wissenschaftliche Fragestellungen beantwor- ten zu können und andererseits Prognosen oder konkrete Handlungsoptionen für Praxis und Politik be- reitzustellen. Während Modelle reale Systeme anhand mathematischer Funktionen beschreiben, sind Simula- tionsstudien – salopp formuliert – Experimente am Computer, die auf diesen Modellen basieren. Sie dienen dazu, Erkenntnisse zu gewinnen, die nicht oder nur mit großem Aufwand über reale Experimente erzielt wer- den können. Die Ressourcennutzung eines Pflanzen- bestandes in variablen Umwelten ist ein Beispiel für ein komplexes pflanzenbauliches System, für das das Zu- sammenspiel der einzelnen Komponenten nur schwer vorherzusagen ist. Stehen im Fokus der Untersuchun- gen zudem Fragestellungen, bei denen die besondere Rolle der Pflanzenarchitektur beleuchtet werden soll, muss diese in den Modellen auch entsprechend berücksichtigt werden. Virtuelle Pflanzen beschreiben Pflanzenarchitektur in silico, also im Computer. Sie verknüpfen die dreidimen- sionale Darstellung der Pflanzenarchitektur mit Model- len für physiologische Prozesse, wie zum Beispiel Pho- tosynthese und Verteilung der Assimilate (Abb. 1). Virtuelle Pflanzen eigenen sich daher in besonderem Maße für die Analyse von komplexen Feedback-Prozes- sen zwischen Bestandsarchitektur und Umweltfakto- ren. Neben der Modellbildung und dem konsequenten Prüfen von Hypothesen zu Wirkungsfunktionen auf verschiedenen Ebenen (Zelle, Organ, Pflanze) steht die Hochskalierung und Integration auf Bestandslevel im Mittelpunkt dieses Forschungsschwerpunktes. Simu- lationsstudien, die auf Virtuellen Pflanzen basieren, helfen uns schließlich dabei, die besondere Rolle der Pflanzenarchitektur in der Ressourcennutzung syste- matisch untersuchen zu können. MODELLBILDUNG UND SIMULATIONSSTUDIEN Modelle für die Pflanzenarchitektur können beispiels- weise über sogenannte Lindenmayer-Systeme aufge- baut werden. Eine besondere Eigenschaft von solchen Systemen ist, dass sie beispielsweise Wachstum und Entwicklung einzelner Organe einer Pflanze anhand weniger Regeln beschreiben können (Lindenmayer & Prusinkiewicz, 1990). Simulationsprogramme wie L-Studio (http://algorithmicbotany.org/virtual_laboratory/) können die Modelle, die auf Lindenmayer-Systemen be- ruhen, interpretieren und die resultierenden virtuellen Pflanzen visualisieren. Sowohl das Wachstum vorhan- dener Organe als auch das Erscheinen neuer Pflanzen- teile kann in Lindenmayer-Systemen in Abhängigkeit von lokalen Umgebungsfaktoren modelliert werden. Die Integration aller lokalen Prozesse führt schließlich zur Darstellung der komplexen Pflanzenarchitektur der Ge- samtpflanze im Kontext ihrer Umgebung. Für die Parametrisierung der Modellfunktionen und die Evaluierung der Modelle sind experimentelle Daten un- abdingbar. Erst wenn für ein Modell gezeigt werden konnte, dass es mit einer vorher festgelegten Genauig- keit die gewünschten Zustandsgrößen vorhersagen kann, darf es für Simulationsstudien genutzt werden. 25 AUTOREN: PD Dr. Katrin Kahlen Institut Gemüsebau katrin.kahlen@hs-gm.de Hannah Klostermann M.Sc. Institut Gemüsebau Matthias Olberz M.Sc. Institut Gemüsebau Prof. Dr. Jana Zinkernagel Institut Gemüsebau Virtuelle Pflanzen – und was wir von ihnen lernen können