RÜCKBLICK 45 Rückblick Rebveredlungsstation Geisenheim-Eibingen Ein ausführlicher und spannend zu lesender geschichtlicher Rückblick auf die vergangenen „125 Jahre Rebenveredlungsstation“ findet sich im jüngst erschienenen Geisenheimer Bericht 77 von Ernst-Heinrich Rühl und Co-Autoren (ISBN 978-3-934742-67-3), der für diese kurze Übersicht als Basis diente. 125 JAHRE REBVEREDLUNGSSTATION GEISENHEIM-EIBINGEN MEILENSTEIN IN DER GESCHICHTE DES MODERNEN WEINBAUS Die vor 125 Jahren erfolgte Gründung der ersten Rebver- edlungsstation in Geisenheim war ein Meilenstein in der Geschichte des modernen Weinbaus. Die Geisenheimer Lehranstalt wurde 1872 gegründet. Bereits 18 Jahre danach, im Jahr 1890, hat hier die erste deutsche Forschungsstätte mit dem Auftrag der Entwicklung der Rebenveredlung und des Pfropfrebenbaus auf reblausfeste Unterlagen ihre Tätig- keit aufgenommen. Dieses 125-jährige Jubiläum ist eines Rückblickes würdig. DIE KULTUR DER WEINREBE IN EUROPA In Europa bestand die Kultur der Weinrebe seit der Römerzeit in fast unveränderter Form. Verglichen mit heutigen Maßstä- ben erreichten die Reben ein sehr hohes Alter. So waren an manchen Standorten nicht einmal Neupflanzungen erforder- lich, stattdessen wurden Bestandeslücken durch Vergraben der Triebe ausgefüllt. Es gab aber auch Anbaugebiete, in de- nen als Grundlage einer erfolgreichen Rebkultur jahrelange Brachezeiten vor Neupflanzungen eingeschoben werden mussten. Dennoch war der Winzer damals in der Lage, sich leicht mit kostenlosem Pflanzgut zu versorgen. SCHÄDLINGSBEFALL ALS UNABWENDBARES SCHICKSAL In jenen – für den Weinbau scheinbar glücklichen – Zeiten wurde ein Schädlingsbefall als unabwendbares Schicksal hingenommen. Als in den 60er Jahren des 18. Jahrhunderts die ersten Reblausherde im südfranzösischen Departement Vaucluse auftraten, wurde der Weinbau erstmals mit einem unerbittlichen Bestandsschädling konfrontiert. Kein Mittel war bekannt, um die ungezügelte Ausbreitung zu stoppen. Daraus folgend vollzog sich der Zusammenbruch der süd- französischen Weinbaugebiete in verhältnismäßig kurzer Zeit und brachte ein unvorstellbares wirtschaftliches Elend über die vom Weinbau lebende Landbevölkerung. GEISENHEIM BILDETE SCHON FRÜH DAS ZENTRUM DER OBST- UND WEINBAUFORSCHUNG In jene Zeit fiel die Gründung der Geisenheimer Anstalt, die als Königlich-Preußische Lehranstalt für Obst- und Weinbau am 19. Oktober 1872 ihre Pforten eröffnete. Dem damaligen Botaniker der jungen Einrichtung, Dr. Georg David, wurde mit dem Studium dieser Kalamität der erste Forschungsauftrag erteilt – wahrlich keine leichte Aufgabe. Er wurde dafür nach Südfrankreich entsandt, um die Untersuchungen vor Ort und direkt am Objekt durchführen zu können. Schon früh erkann- te David, dass von diesem Schädling eine große Gefahr aus- geht und so schreibt er in seinem Report über die For- schungsreise, dass „ … man zum Pfropfen eine Zuflucht nehmen ...“ könne. Dr. Karl Kroemer, der damalige Leiter der Pflanzenphysiologischen Station, begründete 1905 in Gei- senheim eine „wissenschaftliche Abteilung“ für Rebenvered- lung, die er seiner Station angliederte. Kroemer hat somit schon früh erkannt, dass Pflanzenschutzprobleme am ehes- ten auf der Basis einer angewandten Wissenschaft zu lösen sind, indem er eine technische und eine wissenschaftliche Abteilung etablierte – gängige Praxis in nur leicht veränderter Form bis zum heutigen Tag. REBVEREDLUNG HEUTE UND DIE ZUKUNFT DER PFROPFREBE Mit den modernen technischen Errungenschaften entwickel- te sich im Umfeld der Rebveredlung mehr und mehr eine Intensivkultur. Stichworte auf dem Weg zu einer innovativen Pfropfrebenerzeugung sind Begriffe wie Tischveredlung, Kartonagerebe, Klonenzüchtung, Unterlagenzüchtung, Hy- droxychinolin und in-vitro-Kultur. Hinter alldem steht ein um- fassender Versuchsbetrieb, denn jede Neuerung musste damals wie heute in zeitraubenden Testreihen und Praxis- versuchen erarbeitet werden. Nach wie vor wird die Synergie aus angewandter (Grundlagen)Forschung und Versuchstä- tigkeit gesehen und umgesetzt. Doch mit der Lösung des einen Problems ergeben sich möglicherweise neue Heraus- forderungen. So steht heute nicht mehr die Reblaus, sondern eher Phaeomoniella, Phaeoacremonium oder Roesleria an der Spitze der wirtschaftlich wichtigen Schaderreger der Rebe. Vielleicht lässt sich auch hier – ähnlich der Etablierung der Rebveredlung vor 125 Jahren – eine so geniale wie einfache Lösung der Probleme finden.